. . .ein Weg . . .

Es ist genau 8 Jahre her, als die Schmerzen das erste Mal auftraten. Wir waren mal wieder auf Reisen und hatten uns die wunderschöne Stadt Prag (Oktober 1993) im wahrsten Sinne des Wortes "ergangen".

Nachmittags verspürte ich plötzlich unter beiden Vorfüßen einen stechenden, brennen-den Schmerz, so dass mir ein Weitergehen nicht mehr möglich war. Ich setzte mich auf die Stufen einer Kirche und zog meine Schuhe aus. Beide Füße waren total verkrampft und ich wartete, bis der Krampf (nach ca. 20 Min.) sich löste.

Nach dieser Reise kam der Schmerz erst einmal nicht mehr wieder, so dass ich mir sagte: "wir sind einfach zuviel Straßen-Pflaster gelaufen!"

Im darauf folgenden Jahr (November 1994) verbrachten wir, wie jedes Jahr, unseren Hochzeitstag in London. Da dieser Tag in der Vorweihnachtszeit liegt, war die Stadt voll Touristen. Die U-Bahn war ausgefallen und wir bekamen kein Taxi - alle anderen Verkehrsmittel waren hemmungslos überfüllt. Uns blieb nichts anderes übrig, als die ca. 5 km bis zu unserem Hotel zu Fuß zurückzugehen. Hier traten die Schmerzen zum zweiten Mal auf. Wieder die gleichen Symptome. Dieses Mal setzte ich mich auf die Bank einer Bushaltestelle, um mir meine Füße zu massieren.

Nun war für mich der Zeitpunkt des Handeln gekommen. Ich bat um einen Termin bei meinem "Haus"-Orthopäden. Ich schilderte mein Problem. Es wurden Röntgen-Aufnahmen gemacht, die wohl zeigten, dass ich einen Spreizfuß hatte. Er verschrieb mir Einlagen und ein entzündungshemmendes Medikament.

Da ich einen sehr kleinen Fuß habe, der aber vorne relativ breit ist, konnte ich noch nie schmale Schuhe tragen. Auch höhere Absätze (ca. 2-3 cm) wurden von mir nur zu besonderen Anlässen angezogen, doch nie für längere Zeit. Daheim war ich der sogenannte "Birkenstock-Typ" - einfach nur bequem!

Mit den verschriebenen Einlagen kam ich zuerst ganz gut zurecht. Zumindest konnte ich die nächsten 6 Jahre gut damit umgehen. Ich vermied aber - wahrscheinlich reine Intuition - längere "Wanderungen" und ständiges Stehen ohne Pausen.

Im Frühjahr 1999 bekamen wir im obersten Stockwerk Parkett. Es mußten die Zimmer einzeln ausgeräumt werden. Der Parkettverleger legte einen Raum. In der Nacht räumten wir diesen Raum wieder ein und den nächsten aus. Es handelte sich um 5 Räume und den Flur. Diese "Baustelle " dauerte eine Woche. Am Ende dieser Woche trat mein Fußproblem verstärkt ein drittes Mal auf.

Erneut ging ich zu meinem Arzt, um dem Problem nun weiter auf den Grund zu gehen. Ich konnte doch nicht den Rest meines Lebens nur sitzen...! Über Wochen und Monate verteilt behandelte mich mein Arzt mit Lokalanästhesie- und auch Cortisonspritzen. Diese halfen anfangs, später jedoch überhaupt nicht mehr.

Jede Arbeit, die ich anfing, mußte ich mehrmals unterbrechen - hinsitzen - Füße massieren etc.. An Einkaufsbummel oder sonstige Stadtgänge war überhaupt nicht mehr zu denken. Bügeln der Wäsche war nur mit vielen Unterbrechungen möglich. Meinen von mir so geliebten Garten - ich konnte die Arbeit dort nicht mehr tun. Die Abstände zwischen den einzelnen Schmerzattacken wurden immer kürzer. Unerträglich wurde der Zustand dann Mitte des Jahres 2000. Die Abstände hatten sich auf 20 Minuten reduziert.

Mein Arzt erklärte mir, es könnte sich eventuell um die Morton Neuralgie handeln, da gäbe es in unserer Umgebung nur einen Arzt, der Erfahrung mit dieser seltenen Krankheit hätte.

Ich besorgte mir einen Termin bei Professor Dr. med. Küster im St. Elisabeth-Hospital in Gütersloh.

Es wurden Röntgen und Kernspintographen-Aufnahmen von beiden Füßen gemacht. Die Aufnahmen schlossen andere Fußerkrankungen zwar aus, hatten aber keine Aussage in Bezug auf die Morton Neuralgie.

Professor Küster ließ sich von mir den Verlauf meiner Schmerzen schildern. Er untersuchte meinen linken Fuß eingehend. Als er meinen Vorfuß von der Seite drückte, als ob er in einem Schuh steckte, spreizten sich die Zehen 2 und 3 auseinander - es tat unbeschreiblich weh! Danach spritze er eine Lokalanästhesie vom Fußrücken zwischen den Mittelknochen durch in den unterhalb des Fußes liegenden Nerv. Nun sollte ich 10 Minuten gehen und dann sagen, ob ich eine Besserung verspürte.

Ich kann kaum beschreiben, welche Gefühle ich hatte. Zum ersten Mal spürte ich meinen linken Vorfuß seit 7 Jahren nicht mehr - es war einfach toll. Gleich darauf beschlich mich aber ein ungutes Gefühl, denn mir wurde bewußt, dass er ja nur einen Fuß behandelt hatte. Was sollte mit dem rechten Fuß passieren? Der tat doch genauso weh! Vor allem - diese Lokalanästhesie würde doch nicht ewig anhalten? Diese Gedanken ließen mich während des 10-minütigen Spaziergangs durch die Gänge des Krankenhauses nicht mehr los.

Als ich wieder in das Untersuchungszimmer kam, fragte mich Professor Küster, wie es meinem Fuß denn jetzt ginge. Ich berichtete ihm, dass es ganz hervorragend wäre, aber doch nicht länger anhalten würde als ein paar Stunden. Und auch den rechten Fuß sprach ich an.

Er lächelte und meinte, dass diese Spritze nur eine Bestätigung seiner Diagnose gewesen wäre. Diese, meine Füße, müßten operiert werden, denn ich hätte die Morton Neuralgie. Er klärte mich über diese seltene Krankheit - von der ich bis zu diesem Zeitpunkt nichts gehört hatte - auf. Auf meine Frage, ob er auch beide Füße gleichzeitig operieren könnte, antwortete er. Ja, wenn ich jemanden zuhause hätte, der mich während der postoperativen Phase betreuen könnte. Ich entschied mich für beide Füße, weil ich sonst zuviel beruflichen Ausfall haben würde, und auch beide Füße gleich weh taten.

Einen OP-Termin bekam ich allerdings erst im darauf folgenden Jahr - also Februar 2001.

Bis zu meiner Operation mußte ich irgendwie mit den Schmerzen klarkommen. Ich füllte die Zeit mit Arbeit - beruflich und auch privat regelte ich alles, was man vorausschau-end erledigen konnte. Ich wußte ja nicht, wie es mir nach der Operation gehen würde. Ich richtete mein Zimmer so ein, dass ich alles bequem erreichen konnte. Diese Vorbereitungen lenkten mich auch teilweise ab. Manchmal allerdings konnte ich es kaum noch aushalten - die Schmerzabstände waren mittlerweile auf 5 Minuten verkürzt.

Stadtgänge, die ich beruflich erledigen mußte, wurden zur Qual. Meine Hausarbeit zog sich unendlich in die Länge...!

Nach einem 3-wöchigem Urlaub auf Fuerteventura hatte ich genug Kraft gesammelt und mich mental auf die kommenden Wochen eingestellt. Die Ruhe, das Meer und die unglaublich schöne Landschaft haben dort immer auf mich eine ganz merkwürdige, beruhigende Wirkung. Am 15. Februar ging ich dann - einfach nur voller Hoffnung und Spannung (nein, nicht Anspannung - dazu bin ich zu neugierig) - ins Krankenhaus, wo ich am 16. Februar operiert wurde.

Ich konnte die Narkose, die mir in allen Einzelheiten erklärt wurde, wählen und ent-schied mich für die Spinalanästhesie (Teilnarkose), da ich mich im Allgemeinen für medizinische Themen - in diesem Falle aber, besonders für mein eigenes Innenleben interessiere und auch grundsätzlich keine Angst vor Operationen habe.

Nach der Narkoseeinleitung - welch ein Gefühl - man spürt unterhalb des Bauchnabels überhaupt nichts mehr - wurden meine Beine mittels einer Blutsperre abgebunden, um eine Blutleere herzustellen. Danach wurden die Neurome (Geschwulste) an beiden Füßen von Professor Küster herausoperiert. Das ganze Prozedere dauerte nur ca. 1/2 Stunde. Eine kurze Zeit war ich noch im Wachraum und wurde dann auf die Station verlegt.

Am ersten Tag durfte ich mein Bett noch nicht verlassen. Meine Beweglichkeit bekam ich am zweiten Tag mittels eines Rollstuhls. Auftreten, um z. B. auf die Toilette zu gehen, konnte ich nur kurz auf der Ferse und an den rechten bzw. linken Außenkanten meiner Füße. Zwischen meinen "Spazierfahrten" war immer wieder Bettruhe angesagt, damit ich die Füße hochlagern konnte. Tagsüber wurden sie mit Eisbeuteln gekühlt, so dass die Schwellung zurückgehen konnte. Einen zweiten Effekt hatte diese Kühlung - man spürte die postoperativen Schmerzen nicht so.

Nach einer Woche Krankenhaus wurde ich entlassen.

Drei Wochen Rollstuhl folgten zuhause. Ich habe mir die Zeit mit Lesen, Arbeiten am Computer (auch hier lagen meine Füße hoch auf einem großen Gymnastikball), Stricken und dem Aufarbeiten meiner privaten Ablage vertrieben - dafür habe ich normal nie genügend Zeit.

Als die Fäden gezogen waren, konnte ich durch herrliche Fußbäder und langsam steigernde Gymnastik meinen Füßen wieder Leben beibringen.

In den Nächten allerdings merkte ich das Heilen der Nerven und des Gewebes, was nicht unbedingt als angenehm bezeichnet werden kann - es ist nur tröstlich, dass diese Schmerzen mit der Zeit schwächer werden und schließlich ganz aufhören. Auch spürte ich, wenn das Blut - beim Aufstehen - in die Beine schoß. Das Gefühl - bildlich ge-sprochen - ähnelt einem Wasserfall, der auf einen Fels aufprallt.

Vier Wochen nach der Operation mußte ich dann mittels Gehhilfen das Gehen erst wieder lernen. Diese Gehübungen sind schmerzhaft und anstrengend (die unter dem Fuß befindlichen Muskeln bauen sich wieder auf) - es fühlt sich wie ein besonders starker Muskelkater an, dies aber unter den Fußsohlen - , aber das Durchhalten hat sich gelohnt. Diese Schmerzen verringerten sich nach und nach, so dass ich Mitte April schmerzfrei war.

Von meinen alten Slippers und Mokassins mußte ich mich leider trennen, da die das unbewußte Krallen der Zehen fördern. (ohne dass man es merkt, hält man mit den Zehen den Schuh fest) Ich trage nun nur noch Schnürschuhe. (man bekommt heute auch schon modische orthopädische Schuhe - suchen lohnt sich!)

Für meinen Teil habe ich mich nun wieder dem jugendlichen "College-Stil" - will heißen - blickdichte Strumpfhosen und knielanger oder knöchellanger Rock, verschrieben - hat doch auch was - ! Mit Hosen haben Frauen ja nicht so das Schuhproblem! Meine Schuhe wurden vom Orthopädie-Schuhmacher mit Pelotten (kleinen Erhöhungen) und Einlagen versehen. So werden meine Vorfüße angehoben und die Zehen entlastet.

Alles lief gut . . . und dann . . .

* * * * * *

Erste Ahnungen, was auf mich zukam, zeigten sich mir Anfang Juni. Ich bekam wieder Schmerzen in geschlossenen Schuhen. Folgedessen trug ich nur noch Sandalen - ich verfiel in die alte Schonhaltung - !

Mitte Juni - wir fuhren in Urlaub - dieses Mal an die Algarve/Portugal. Meine Mutter und ich standen am Pool und ich schaute auf meine Füße. Mir fiel sofort eine Veränderung auf. Mein 4. und mein 5. Zeh an beiden Füßen krümmten sich, als ob sie sich zur Seite neigen wollten. Auch bei Besichtigungen konnte ich trotz meiner orthpädischen San-dalen nicht weiter als ca. 300 m gehen. Mir war klar - alles geht von vorne los - nur an einer anderen Stelle! Für mich war jetzt bewußtes Gehen, d.h. jeder Schritt wird über-legt, angesagt, um zumindest ein wenig von unserem Urlaub genießen zu können.

Als wir wieder zuhause waren, holte ich mir erneut einen Termin bei Professor Küster.

Meine Ahnung wurde zur Realität. An beiden Füßen, zwischen 3. und 4. sowie zwischen 4. und 5. Zeh hatten sich wieder Neurome gebildet.

Um es ein wenig abzukürzen - die zweite Operation war am 01. Oktober 2001. Ich bin gerade wieder in der Geh-Lern-Phase. Kommt mir doch irgendwie bekannt vor! Das Schlimmste ist aber überstanden.

Meine Vorfüße sind jetzt taub bis auf den großen Zeh -! Die Beweglichkeit ist nicht eingeschränkt und ich freue mich schon jetzt, wenn ich wieder arbeiten und autofahren kann. Äußerlich sieht man kaum etwas, d. h. die Füße sehen normal aus.

Im Krankenhaus lernte ich zum ersten Mal eine Patientin kennen, die die gleiche Krankheit hat. Es war tröstlich - nach einem Jahr - einmal einen Menschen zu treffen, der diese Art von Schmerzen kennt.

Die Akzeptanz dieser Art von Schmerzen - gesellschaftlich gesehen - man sieht doch kein Blut und auch keinen Gips - dies wäre zumindest eine Rechtfertigung für andere Menschen gewesen - ist wohl nicht zu erwarten. Ich, als unmittelbar Betroffene, hatte auch so meine Schwierigkeiten damit. Es dauerte eine kleine Ewigkeit, dies für mich zu akzeptieren und mich mit dieser Realität abzufinden.

Schmerzen, welcher Art auch immer, haben nicht nur einen sichtbaren, diagnostizier-baren, sondern auch einen weit tiefer gehenden Grund. Schmerzen sind ein Signal - hier stimmt was nicht -! Wenn man das erkannt hat, ist es eine Frage der Zeit und des inneren Zulassens, bis man der Ursache für sich persönlich auf den Grund gehen kann. Es ist ein langer Prozess, aber ein durchaus gangbarer und vor allem lohnender Weg.

Für meine Familie, Freunde und Bekannte war das fast unbegreiflich. Gute Ratschläge wie - wird doch nicht so schlimm sein - oder - stell dich nicht so an, das wird schon wieder - kamen dabei heraus. In den Augen meiner jeweiligen Gesprächspartner konnte ich jedoch ihre eigene Ratlosigkeit und Ungläubigkeit lesen.

Manchmal hatte ich das Gefühl nicht im richtigen Film zu sein. Seit ich nun zum zweiten Mal operiert wurde - hat sich das wohl grundlegend geändert. Meine OP-Fotos und auch die Bilder über den Verlauf der Heilung, die ich mittels einer Web-Kamera dokumentiert habe, hatten wohl eine intensivere, eher plakativere Sprache, als es mir mit Worten möglich gewesen wäre.

Es gab sehr wenige wirklich hilfreiche Menschen während dieser Zeit - die mir - vor allem durch persönliches Handeln und Zuspruch, ihre Zuneigung gezeigt haben. Diesen Menschen sage ich von Herzen DANKE!

Mein Mann, Gerd, der vor allem in der Heilungsphase rührend für mich gesorgt hat - einkaufen, kochen, Wäsche waschen etc. - hat mir alles abgenommen, trotzdem er beruflich sehr eingespannt war. Meine Hochachtung! Wir alle wachsen mit den uns übertragenen Aufgaben!

Mein Leben hat sich durch diese Krankheit verändert. Sicherlich bin ich nun ein klein wenig eingeschränkt, das heißt, ich muss jetzt sehr darauf achten, nicht mit meinen Füßen irgendwo anzustoßen, da ich eventuelle Knochenbrüche an den Zehen nicht mehr spüren würde. Ich bin um eine Erfahrung reicher und habe an innerer Stärke durch das Meistern dieses für mich schweren Weges gewonnen.

Die Zeit des Erlebens, Nachdenkens und Erkennens - letztendlich hat sie mir gut getan!

Diese, meine Erfahrungen mit der Vorfußkrankheit "Morton Neuralgie" haben mich auch bewogen, meine Erkenntnisse nicht für mich zu behalten. Ich möchte auf diese offene Art anderen Betroffenen helfen und Ihnen Mut zusprechen. In dieser Hinsicht ist für mich Aufklärung und Information ein ganz besonders wichtiger Punkt.

Wenn ich ein wenig mehr Sensibilität und Behutsamkeit im Umgang mit Schmerz-patienten in der Gesellschaft mit diesem meinem Bericht erreichen würde, wären meine Erwartungen um ein Vielfaches übertroffen.

Im November 2001

Barbara Damhorst